Was bedeutet lernen?
Wenn wir etwas neues verstanden haben, dann haben wir gelernt. Verstehen heißt, etwas nachvollziehen zu können. Es bedeutet nicht allein die Begriffe zu verstehen, sondern zu begreifen, welche Auswirkungen und Bedeutung das hat.
Wenn mir jemand sagt, dass John Nash ein Mathematiker war, dann ist das dem ersten Anschein nach nicht mehr oder weniger bedeutend, als wenn man gesagt hätte er sei Rauchfangkehrer gewesen. Natürlich erkennt man gleich, dass es sich hier um eine vorwiegend geistige Arbeit handelt, während der Rauchfangkehrer eher handwerklich tätig ist.
Wenn man weiß, wer John Nash war, dann erübrigt sich natürlich vieles weitere. Doch erst wenn man seine Arbeit zur Spieltheorie und zur reelen algebraischen Mannigfaltigkeit verstanden hat, kann man die Bedeutung dieser Person nachvollziehen. Er war dann nicht einfach nur Mathematiker – zumal die wenigsten wissen, was ein Mathematiker überhaupt macht.
Verstehen bedeutet nachvollziehen können
Wie man hierbei erkennen kann, lässt sich das Verständnis dessen, was man über John Nash kennt und weiß, auf unterschiedlichen Ebenen (Levels) darstellen. Doch wann hat man es wirklich verstanden? Wie viele Ebenen muss man durchdrungen haben?
Mathematik verstehen
Die Mathematik ist seit bereits geraumer Zeit eine große Freude in meinem Leben. Um sie zu verstehen muss man sich doch etwas mehr damit beschäftigen, denn:
Mathematikbücher kann man nicht lesen;
man muss sie sich erarbeiten.
Erst eine Lösung nachzuvollziehen bedeutet, sie auch wirklich verstanden zu haben. Dadurch scheinen Mathematikbücher für viele auf den ersten Blick unverständlich, weil sie hauptsächlich mit kryptischen Zeichen gefüllt sind und nicht mit Wörtern, die man gleich auf Anhieb versteht.
Verständnisebenen
Dies ist eine sehr vereinfachte Darstellung, denn vermutlich gibt es viele Unterkategorien von Verständnis, je nachdem, mit welchem Thema man sich beschäftigt. Ich möchte jedoch folgende zwei definieren, bzw. ihren Zusammenhang aufzeigen.
- 1. Ebene: Zeichen, Wörter, Begriffe, etc.
- 2. Ebene: Kontext, Zusammenhang, etc.
Die erste Ebene
Dazu zählen Zeichen, Wörter, Begriffe, und so weiter. Streng genommen wären Wörter ebenfalls schon in der zweiten Ebene, aber ich greife vor. In der ersten Ebene verwenden wir Symbole oder Zeichen um etwas zu beschreiben, so wie v für die Geschwindigkeit (Physik) oder U für die Spannung (Elektrotechnik).
Aus Buchstaben ergeben sich Wörter und Wörter helfen uns ebenso, etwas zu beschreiben. Mit Philosoph, Biologie, Botaniker, usw. meinen wir zum Beispiel Berufsbezeichnungen die sich auch unter eben jener Bezeichnung abstrahieren lassen. Wenn wir sagen „Karl Marx war ein Philosoph“, dann können wir bereits viele Informationen daraus herauslesen:
- Name dieser Person
- Berufsbezeichnung
- möglicherweise Berufswechsel oder Ableben (erkenntlich durch die Vergangenheitsform des „sein“)
Die zweite Ebene
Nun lässt sich aus solchen Sätzen viel mehr als nur die Wörter herauslesen, sondern auch ein Informationsgehalt aus dem Zusammenhang feststellen. Ob Karl Marx nun tatsächlich ein Philosoph gewesen war können wir allerdings nicht beweisen, jedoch verstehen wir es und nehmen es als gegeben hin. Da wir es nachvollziehen können (wir kennen die Bedeutung, was es heißt, wenn jemand als Philosoph bezeichnet wird) haben wir es auch verstanden.
Und nun ein Beispiel…
Für Mathematik, Physik, Elektrotechnik, usw. braucht man ebenfalls natürlich beides, doch das Verständnis ergibt sich uns nicht einfach durch den Blick auf eine Aussage, sondern man muss es sich erarbeiten. Dieser Satz ist leider etwas unverständlich, aber ich werde es anhand eines Beispiels probieren.
Die Formel für einen OPV ergibt zum Beispiel:
Für die meisten Menschen wird diese Formel auf den ersten Blick vermutlich überhaupt nichts bedeuten. Sie haben somit weder auf der 1. noch auf der 2. Ebene hier ein Verständnis. Nun haben jene, die ein Grundverständnis von Elektrotechnik haben zumindest das Verständnis oder Kenntnis, dass es sich dabei um die Berechnung einer Spannung (Ua) handeln muss. Damit könnte man sagen, sie haben zumindest ein Verständnis auf der 1. Ebene. Vielleicht erkennt jemand sogleich, dass es sich um einen OPV handeln muss…
Jener, der sich diese Formel erarbeitet,
der kann sie auch nachvollziehen.
Das bedeutet, erst, wenn man den Zusammenhang zwischen der Zeichnung (Schaltung) und der Formel verstanden hat, dann befindet man sich auf der zweiten Ebene.
Das Problem
Das Verständnis (auf 2. Ebene) von mathematischen Formeln ergibt sich oftmals nicht zugleich auf den ersten Blick. Man muss es sich erarbeiten. Das macht Mathematik für viele erstmal anstrengend. Stellen Sie sich vor, Sie müssten alle Aussagen Ihres Gegenübers ständig auf Wahrheitsgehalt überprüfen – nicht nur dass, Sie müssten erst einmal nachvollziehen lernen, was die Person überhaupt gemeint hat.
Außerdem ist es abschreckend, wenn man es auf den ersten Blick nicht versteht1. Doch anstatt es wie eine Fremdsprache zu sehen, die man noch nicht versteht (denn auch Mathematik bedient sich Vokabular, Grammatik, usw.) haben viele Angst davor. Vielleicht ist diese Angst auch so sehr unter der Bevölkerung verbreitet, dass ein Unverständnis von Mathematik eher zum Standard gehört.
In der Tat braucht man keine fortgeschrittene Mathematik, um viel Geld zu verdienen. Wenn mich jemand fragt, wozu er sie dann braucht, muss er es selbst herausfinden. Es hat nichts Positives, unwissend zu sein und zu sagen, dass man es nicht braucht. Natürlich braucht man es nicht. Man kann leicht ohne sie leben.
Warum sollten Sie sich für höhere Mathematik interessieren?
Die Lösung
Die Angst überwinden, denn sie ist nicht die Realität. Sich nicht mehr von Zahlen und Formeln einschüchtern, sondern eher davon inspirieren lassen. Etwas nicht zu wissen kann schon eine Inspiration sein mehr zu lernen. Wovor haben wir Angst? Was sind unsere Bedenken? Besonders komplexe Themen sind spannend und können uns neue Erkenntnisse und ein Verständnis über die Welt bringen – und am Ende wissen wir sogar mehr über uns selbst. Befassen Sie sich also mit höherer Mathematik…
Anmerkungen
- Das finde ich allerdings schade. Man sollte sich stattdessen aktiv jene Themen suchen, die man eben nicht auf den ersten Blick versteht – denn nur so können wir unseren Horizont erweitern. Es liegt also an einer Lernphilosophie. ↩︎